Wir schreiben das Jahr 2003 – ein bemerkenswerter Fund in der Pfarrei Oberböbingen:
Der Jahrhundertbrief
Das Jahr 1817 stand in Oberböbingen wie überall in Deutschland unter dem Zeichen des 300. Jahrestages der
Reformation. In diesem Jahr begann Magister F. L. J. Dillenius, 27 Jahre alt, seinen Dienst als Pfarrer in
Oberböbingen. Zuvor war er 3 Jahre lang Garnisonsprediger in Gmünd und Zuchthauspfarrer in Gotteszell.
Aus Anlass des Reformationsjubiläums schrieb dieser einen Brief an seinen Nachfolger, den »Jubelprediger« des
Jahres 1917. Dieser Nachfolger war Pfarrer Emil Heim, der von 1899 - 1930 Pfarrer in Oberböbingen war, und an
den sich ältere Gemeindeglieder noch gut erinnern können. Herr und Frau Heinz entdeckten vor kurzem diesen
Brief. Wir drucken ihn hier ab, weil wir glauben, dass seine Botschaft auch uns im Jahre 2003, also fast zwei
Jahrhunderte später, viel zu sagen hat.
An Dich theurer Mitbruder,
dessen Eltern noch nicht einmal mit mir im Lichte der Lebendigen wandeln, u. von dessen mündlichen Ansprache mich ein
Jahrhundert scheidet, stehen hier wenn der Zahn der Zeit sie nicht auch vertilgt, noch einige schriftliche Worte:
Du bist mir lieb, wer du auch seyest, wenn du nur ein guter, deutscher evangelischer Christ. bist; und auch ich werde Dir
vielleicht lieber, wenn du in diesem Buche der Vergangenheit liesest und mich näher kennen lernst, denn das glaube ich von
Dir, daß dir ein offener Sinn für das Gute, ein warmer Eifer für Religion und für das Beste der Mitmenschen etwas gilt und
darum rechne ich auf deine Liebe.
Ich habe von Herzen gejubelt an dem herrlichen Feste, das erst Du wieder feiern wirst, habe im Innersten empfunden das
Glück der edlen Freyheit, denn ich sehe noch Mißbräuche, die du mir vielleicht kaum glauben würdest. Sprach mein Gefühl
nicht warm genug, so schreibe es dem fast ängstlichen Bestreben zu, verständlich zu sprechen.
Bis Du dieses liesest, bin ich längst schon Asche und Staub, und mein Geist durchwandert höhere Welten. Du aber sollst
hienieden noch bauen und pflegen. Wird die Menscheit bis dahin zum Besseren fortgeschritten sein oder wirst du auch
noch fürchten müssen, oft keinen Sinn für das Höhere zu finden und deßwegen auch nicht eine Saite des Herzens zu treffen?
Wird der gesunde Menschenverstand und edler, einfacher Glaube den Sieg behalten oder wird Wahn und Aberglaube und
Sinnlichkeit die Geister noch gefangen halten? Wird es noch immer nicht dahin kommen, daß nur Eine Heerde Christi wird,
oder wirst DU vielleicht schon das Fest der bis jetzt nur geträumten Vereinigung feiern? Wie es auch sey, bleibe Du nur in
der Wahrheit.
Traurige Jahre furchtbaren Kriegs*), des Despotismus und sogar der Verfolgung, des Elends und Hungers sind unserem
Feste voran gegangen. Möge deiner und deiner Mitwelt eine frohere Zukunft warten! Möget lhr wirklich die Früchte
erndten, die das mühsame Ringen unserer Zeit tragen könnte.
Mit diesem brüderlichen Wunsche sage ich Dir für diese Welt Lebewohl!
*) Pfarrer Dillenius spricht hier von den napoleonischen Kriegen, die zwischen 1804 und 1815 ganz Europa mit Schrecken und Leid überzogen hatten. Unter diesem Vorzeichen
ist auch zu verstehen, dass das Reformationsjubiläum 1817 zu einem »Jubelfeste« wurde. - Dagegen hat der Adressat dieses Briefes, Pfarrer Heim 1917 sicher kein Jubeljahr
erlebt, denn 1917 war wohl das furchtbarste Jahr des Ersten Weltkrieges.
Und was würden wir heute Pfarrer Dillenius antworten?
Schreiben Sie doch einen Brief, schicken Sie ihn an:
Ev. Pfarramt Oberböbingen, Kirchstraße 36, 73560 Böbingen
Oder per E-Mail an: pfarramt.oberboebingen@elkw.de